AM11 – Brief an Walter Gropius
Toblach, Dienstag, 2. oder Mittwoch, 3. August 1910
Mein
Sei nicht böse, dass ich Dich so darben lasse – die schwerste Zeit meines Lebens lebe ich jetzt durch. Ich habe zu entscheiden – über Leben und Tod. –
Ach – was ist Passivität für ein Glück
neben dem Furchtbaren der Verantwortung, wenn man aktiv zu sein hat. –
—
Das Couvert war grau blau – von Deiner Schrift – oder täuschend nachgemacht . . . geschrieben:
Herrn
Toblach
Tirol
Und ich glaube jetzt fast mit Bestimmt-
heit, dass Du in der Eile vor Abgang des Zuges den Anfang der Adresse vergassest. Wie dem auch sei: Mir thut es nicht leid: \nämlich dieser Vorfall/. Ich bin nun en gezwungen, mich zu entscheiden[.] –
Ich erlebe etwas an meiner Seite, das ich nicht für möglich gehalten hätte. Nämlich, dass Liebe so grenzenlos ist, – dass mein
Bleiben – trotz allem[,] was geschehen ist – ihm Leben – und mein Scheiden – ihm – Tod – sein wird. Bedenke das und alles, was auf mir lastet[,] und verstehe, wenn ich Dir nicht schreiben kann – ich bin auch nie allein. ist wie ein krankes, herrliches Kind. Schreibe Du mir[,] und zwar offen \u. ehrlich/, was Du Dir von der Zukunft
erhoffst – wie Du es einrichten würdest – was mit mir geschehen würde – wenn ich – mich für das Liebesleben mit Dir entscheide. Ach – wenn ich daran denke – mein , dass ich Deine süße Liebe für mein ganzes Leben nicht mehr haben sollte . . . ! –
Ach – Du – mir ist die Erde schwer! —
Schreib’ mir[.] —
Hilf mir[.] —
Ich weiß nicht, was ich thun soll — wozu ich das Recht habe – es mir zu nehmen. Ich bin im Bett – die Aufregungen der letzten Tage waren zu viel für mich.
[Postskriptum:] Schreib’ mir aber vor Allem, ob Du mich noch genau so liebst und erwartest u. erwünsch[s]t[.] — Ich schreibe, so bald als möglich.
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , .
Quellenbeschreibung
2 DBl. (7 b. S.) – Briefpapier mit Aufdruck: „REGINA-PALAST-HOTEL | MÜNCHEN | MAXIMILIANSPLATZ.“ ( [dort durchgestrichen], ).
Beilagen
Umschlag, , – Herrn Walter Gropius | Neubabelsberg bei | Berlin | Stahnsdorferstr. 83; PSt. (lt. , S. 531, Nr. 112): TOBLACH 2 | 3 | # | # N | 10 | c; von WG mit einer 1 versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen); Aufdruck: „REGINA-PALAST-HOTEL | MÜNCHEN.“ (); vorder- und rückseitig: fremdschr. Zusatz nach Übergabe an : „41“.
Druck
, S. 100, bei Anm. 123 (Auszug), , S. 108, bei Anm. 53 (Auszüge), , S. 40, bei Anm. 98 (Auszüge), , S. 105, bei Anm. 105 (Auszug), , S. 842f., bei Anm. 81 (vollständig in engl. Übersetzung), , S. 10, bei Anm. 9 und S. 11, bei Anm. 15 (jeweils Auszüge), , S. 10, bei Anm. 9 und S. 11, bei Anm. 15 (jeweils Auszüge in engl. Übersetzung).
Datierung
Poststempel: Tag schwer, Monat nicht lesbar. Uhrzeit wahrscheinlich „1 N“ (= 13 Uhr).
Bisherige Datierungsversuche: irrtümlich „vermutlich Juni 1910“ (, S. 448, Anm. 123), „3.[8.1910]“ (, S. 108, Anm. 53 und , S. 40, Anm. 98 und S. 309), Übernahme der Datierung bei , S. 843, Anm. 81, „‚3.‘ [August 1910]“ (, S. 10, Anm. 9 und S. 11, Anm. 15 sowie , S. 10, Anm. 9 und S. 11, Anm. 15).
Der Inhalt des Briefes lässt nur eine Entstehung im August 1910 zu. Da AM nicht sofort nach ihrem vorherigen Brief AM10 vom 31. Juli 1910 wieder geschrieben hat (Sei nicht böse, dass ich Dich so darben lasse), entstand der vorliegende Brief AM11 am 2. oder 3. August. Das verwendete Briefpapier hatte , der anlässlich der Probenarbeit zur vom „16. bis zum 26. Juni […] im Regina Palast-Hotel am Maximilianplatz 5, Zimmer 229, abgestiegen“ war (, S. 350), wahrscheinlich aus München mitgebracht.
Themenkommentar
Übertragung/Mitarbeit
(Manuel Tietz)
(Jannik Franz)
Couvert – der Briefumschlag, dessen Inhalt die Liebesaffäre zwischen und aufdeckte, s. Themenkommentar: Der fälschlich adressierte Brief an Gustav Mahler.
Anfang der Adresse – der Name der Adressatin , s. AM5 vom 20. Juli 1910: Schreibe an Gräfin Triangi p.[er] A.[dresse] Dir.[ektor] Mahler[,] Toblach Tirol.